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Das Scheitern einer Übernahme beginnt an der Kaffeemaschine

M&A Basics: Die Macht der Mitarbeiterkommunikation in M&A


An diesem Dienstagmorgen läuft in Mittelhessen nicht nur die Kaffeemaschine heiß, sondern auch die Gerüchteküche. Sabine aus der Buchhaltung und Thomas vom Vertrieb stehen sich gegenüber. Zwischen ihnen liegt eine Frage, die ihnen niemand beantwortet hat. Was passiert jetzt eigentlich mit uns? Seit drei Wochen gehören sie zu einem größeren Konzern, seit drei Wochen warten sie auf Antworten. Stattdessen sind Gerüchte im Umlauf.

 

Thomas hat gehört, dass der neue Eigentümer bereits zwei andere Standorte geschlossen hat. Sabine erinnert sich an die letzte Betriebsversammlung, bei der viel von „Synergien“ die Rede war - ein Wort, das in ihren Ohren wie eine Drohung klingt. Am Ende des Gesprächs denken beide dasselbe: Vielleicht sollten sie sich schon einmal nach etwas anderem umsehen.

 

Drei Stockwerke höher sitzt die Geschäftsführung in einem hellen Besprechungsraum und blickt optimistisch in die Zukunft. Die ersten operativen Schritte der Integration sind getan und die Prognosen sind vielversprechend. Niemand ahnt, dass unten bereits die ersten Bewerbungsunterlagen verschickt werden. Dass Sabine nicht mehr richtig schlafen kann und Thomas mit seiner Frau darüber diskutiert, ob sie den Hauskredit vielleicht doch nicht für den Ausbau des Dachgeschosses erhöhen sollten.

 

Das Scheitern einer Übernahme beginnt an der Kaffeemaschine.

 

Solche Situationen treten im Rahmen von Fusionen und Übernahmen immer wieder auf. Nicht umsonst gilt unzureichende Kommunikation als wesentlicher wertvernichtender Faktor bei M&A-Transaktionen.

 

Die größte Herausforderung bei Fusionen und Übernahmen sind die emotionalen Reaktionen der Mitarbeitende auf Veränderungen. Die Mitarbeitenden navigieren durch ein Labyrinth aus Unsicherheiten bezüglich ihrer beruflichen Zukunft und der Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Diese Verunsicherung manifestiert sich schnell in Flurfunk und Spekulationen, die das Tempo der Integration deutlich verlangsamen können.

 

Drei zentrale Hebel können dabei helfen, die destruktiven Dynamiken in der Belegschaft zu durchbrechen:

 

 

Die nachstehende Übersicht zeigt, wo Stolperfallen in der Mitarbeiterkommunikation in M&A lauern und welche Folgen es gibt. Und sie zeigt, welche Maßnahmen helfen.



Diana Captari: Talk, Acryl auf Leinwand (Rumänien, 2022)

1 Proaktiv kommunizieren: Der Deckel auf der Gerüchteküche

 

Proaktive Kommunikation durchbricht den Informationsmangel, der oft die Grundlage für den Flurfunk bildet. Die Herausforderung besteht darin, trotz Unwägbarkeiten in M&A-Prozessen möglichst umfassend zu informieren. Fehlt dieser kommunikative Deckel, brodelt die Gerüchteküche.


In Gesprächen an der Kaffeemaschine entstehen Spekulationen über Stellenabbau, Standortschließungen oder andere radikale Umstrukturierungen. Kollegen wie Sabine und Thomas füllen in informellen Gesprächen auf den Fluren, in der Kaffeeküche oder in Meetingräumen Informationslücken mit eigenen Bedrohungsszenarien auf. Da diese regelmäßig pessimistischer ausfallen als die tatsächlichen Pläne, entstehen Stress, Misstrauen sowie Gefühle von Ungerechtigkeit oder gar Ohnmacht.

 

Eine umfassende Kommunikationsstrategie mit einer überzeugenden Merger-Story kann diese Unruhe von Anfang an eindämmen. Sie erklärt Mitarbeitenden wie Thomas und Sabine beispielsweise, warum ihr Fachwissen für die gemeinsame Zukunft unverzichtbar ist und bietet psychologische Sicherheit.

 

Maßnahmen, die helfen:

  • Die Merger-Story muss stimmen. Nur eine überzeugende Begründung für den Zusammenschluss zeichnet ein attraktives Bild der gemeinsamen Zukunft und würdigt gleichzeitig den bisherigen Erfolg beider Unternehmen. Diese Story gehört weit vor Day 1 entwickelt und intern abgestimmt.

  • Botschaften permanent wiederholen. Menschen nehmen Informationen durchschnittlich erst mehreren Wiederholungen wirklich wahr. Die gleiche Kernbotschaft muss daher über verschiedene Kanäle und in unterschiedlichen Formaten kontinuierlich kommuniziert werden, z.B. in interaktiven Town Halls, regelmäßigen internen Newslettern und Q&A Sessions.

  • Der Kommunikationsplan muss sitzen. Die Strategie erfordert eine detaillierte Planung und eine disziplinierte Umsetzung über den gesamten Integrationszeitraum hinweg. Dies beinhaltet Festlegungen wie, Wer erhält wann über welche Kanäle welche Informationen? Dem Inhalt sollte viel Aufmerksamkeit gewidmet werden, auch über „Day 100” hinaus. Mögliche Inhalte sind die Chancen und der Mehrwert der Fusion sowie konkrete Informationen zu neuen Rollen und organisatorischen Veränderungen.

  • Ehrliche und frühe Adressierung unangenehmer Themen. Das Prinzip „Bad News First“, beispielsweise bei geplanten Stellenabbau oder Standortschließungen, sollte konsequent Anwendung werden. Wer absehbare Einschnitte verbirgt, muss sonst damit rechnen, dass sich die Belegschaft langfristig gegen ihn auflehnt.

  • Spezialisiertes Kommunikationsteam. Bildung eines dedizierten Kommunikationsteams, das arbeitsgruppenübergreifend agiert und die wesentlichen Integrationsziele und -meilensteine an die Mitarbeitenden kommuniziert und Feedback einholt.




Diana Captari: Family, Acryl auf Leinwand (Rumänien, 2022)


2 Zuhören als Führungsinstrument: Unsichtbares sichtbar machen

 

Für die Mitarbeitenden sind Fusionen und Übernahmen über mehrere Monate hinweg mit Stress und Unsicherheit verbunden, das sogenannte „Merger-Syndrom“ tritt ein: Die Angst vor Arbeitsplatz- oder Statusverlust belastet Mitarbeitende und Führungskräfte, wie Sabine und Thomas. Zusätzliche Unzufriedenheit und Stress entstehen durch die Unklarheit über neue Strukturen und Prozesse sowie durch die anfallende Mehrarbeit und neue Aufgaben.

 

Mitarbeitende äußern ihre Sorgen jedoch sehr häufig nicht über offizielle Kanäle, sondern in Pausengesprächen – oder gar nicht. Durch aktives Zuhören und das systematische Erfassen von Sorgen und Zweifel werden unsichtbaren Widerstände und Ängste sichtbar und potenzielle Konfliktfelder können identifiziert werden, bevor sie eskalieren und zu echten Problemen werden. Wer strukturiert zuhört, kann zudem informelle Netzwerke und Machtverhältnisse erkennen und gegensteuern, bevor interne Grabenkämpfe den laufenden Betrieb gefährden. Gleichzeitig werden operative Probleme in Kunden- und Lieferantenbeziehungen früher sichtbar.

 

Strukturierte Erhebungsmethoden, wie die folgenden, machen unsichtbare Widerstände und Integrationshindernisse sichtbar und steuerbar.

 

Maßnahmen, die helfen:

  • Regelmäßige Pulse Surveys. Diese erfassen kontinuierlich die Stimmungslage und identifizieren Problemfelder bereits in der Entstehung. Dabei handelt es sich um kurze, digitale und vor allem anonyme Befragungen, beispielsweise zum Vertrauen ins Management und in die Organisation sowie zu Engagement und Motivation.

  • Sounding Groups schaffen strukturierte Feedbackschleifen. In diesen abteilungsübergreifenden Gruppen werden regelmäßig konkrete Fragen wie „Was läuft gut, was läuft schlecht, was empfehlen wir?” diskutiert und die Ergebnisse an das Integrations-Team oder das Management weitergegeben.

  • Anonyme Feedback-Kanäle ermöglichen kritische Rückmeldungen ohne persönliches Risiko. Online-Befragungen, digitale Kummerkästen oder spezielle E-Mail-Adressen dienen als Stimmungsbarometer und geben den Mitarbeitenden das Gefühl, dass ihre Anliegen ernst genommen werden. Wichtig ist, wiederholt darauf zu verweisen und zur Nutzung aufzufordern.

  • CEO- und Management-Besuche mit echtem Dialog. Persönliche Frage-und-Antwort-Runden, zum Beispiel beim Mittagessen, mit der Geschäftsleitung bauen Ängste ab und schaffen Vertrauen durch den unmittelbaren Kontakt zwischen Management und Belegschaft. Dies ist besonders herausfordernd in sehr hierarchischen Unternehmenskulturen.

  • Führungskräfte als Multiplikatoren stärken. Vorgesetzte, vor allem im mittleren Management, können durch gezielte Trainings dazu befähigt werden, Veränderungsprozesse kompetent an ihre Teams zu vermitteln. Dadurch reduzieren sie Unsicherheiten für sich und ihre Teams, geben Orientierung und sorgen für Akzeptanz und Motivation bei den Mitarbeitenden.

Diana Captari: Gathering, Acryl auf Leinwand (Rumänien, 2022)

3 Beteiligung statt Stillstand: Wie Kommunikation in M&A Identifikation schafft

Thomas kennt die Vertriebsprozesse wie kein anderer und kann dadurch wertvolle Einblicke in Kundenbeziehungen liefern. Sabine durchschaut als Buchhalterin die Finanzabläufe und weiß, wo sich Synergien schnell heben lassen - Mitarbeitende wie Sabine und Thomas wollen mitgestalten. Immerhin geht es um ihren Job, den sie weitestgehend eigenverantwortlich gestalten und gerne machen (zumindest hoffe ich das). Wer Menschen in M&A-Situationen dann zu passiven Empfänger von Entscheidungen degradiert, verstärkt latente Ohnmachtsgefühle.

 

Erfolgreiche Manager machen daher „Betroffene zu Beteiligten“. Sie machen Mitarbeitende beider Unternehmen zu aktiven Gestaltern des Integrationsprozesses.


Und sie haben gute Gründe dafür:

  1. Mitarbeitende sind Experten ihrer Arbeitsabläufe und können wertvolle Verbesserungsvorschläge für die Integration liefern.

  2. Gemeinsame Visionen und Leitlinien schwächen Zukunftsängste ab und geben Orientierung über die neue Richtung.

  3. Partizipation verwandelt Kritiker in Unterstützer, denn wer mitgestalten kann, identifiziert sich mit dem Ergebnis.

  4. Respektvolle Einbindung beider Unternehmen schafft das Gefühl fairer Behandlung.

     

Ohne kontinuierliche Beteiligung identifizieren sich Mitarbeitende nicht mit den neuen Strukturen, Prozessen und Arbeitsweisen. Das führt zu Leistungsabfall und passivem Widerstand und die Mitarbeitenden verlieren die Motivation, die Integration voranzutreiben. Entscheidungen, die ohne Einbeziehung der Mitarbeitenden getroffen werden, verhindern zudem ein Zugehörigkeitsgefühl zur neuen Organisation sowie die Bildung einer gemeinsamen Unternehmenskultur. Beides ist jedoch elementar für den langfristigen Erfolg der Transaktion.

 

Maßnahmen, die helfen.

  • Interdisziplinäre Integrationsworkshops. Gemeinsame Arbeitsgruppen mit Vertretern beider Unternehmen fördern Know-how-Austausch und bauen Zukunftsängste ab. Gemischte Teams sollten auch für die Besetzung von Integrationsteams bevorzugt werden.

  • Mentoring-Programme. Patenschaften zwischen Mitarbeitenden der verschiedenen Unternehmen unterstützen wechselseitigen Wissensaustausch und helfen beim Aufbau neuer Netzwerke. Dies fördert die Integration und Leistungsfähigkeit der neuen Organisation.

  • Transparente Erfolgskommunikation. Regelmäßige Kommunikation von Integrationserfolgen und erreichten Meilensteinen hilft, die Kluft zwischen Erwartung und Realität zu schließen. Das Feiern kurzfristiger Erfolge aktiviert Motivation und Engagement für die gemeinsame Zukunft.

  • Gemeinsame Leitlinienentwicklung (und -umsetzung). Ein verlässlicher Führungsrahmen, gemeinsame Unternehmensleitlinien und eine partizipativ entwickelte Vision schaffen Orientierung und fördern eine gemeinsame Führungskultur.




Fazit: Das Scheitern einer Übernahme beginnt an der Kaffeemaschine. Ihr Erfolg auch.

Sabine und Thomas stehen noch immer an derselben Kaffeemaschine. Aber die Gespräche haben sich verändert. Das Management hat eine überzeugende Story für die Fusion entwickelt und kommuniziert regelmäßig über den Fortschritt. Anonyme Umfragen haben gezeigt, welche Sorgen die Belegschaft wirklich umtreiben. Gemischte Arbeitsgruppen aus beiden Unternehmen gestalten die neuen Prozesse mit.

 

Die Gerüchteküche ist längst nicht verstummt, aber sie brodelt weniger heftig. Durch konsequentes Kommunizieren, systematisches Zuhören und kontinuierliches Beteiligen entstand eine Vertrauensbasis, die sich im Zeiverlauf festigen wird.

Letzen Endes entscheidet sich der Erfolg einer Integration auch in alltäglichen Gesprächen zwischen Menschen, die eine gemeinsame Zukunft gestalten müssen. Wer unausgesprochene Sorgen ernst nimmt und transparent handelt, sorgt dafür, dass an der Kaffeemaschine wieder über Zukunftspläne gesprochen wird.

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